In Taarstedt bei Schleswig, das ist bei uns in Angeln, ganz ganz oben in Deutschland, gibt es die Weltbrauerei (www.weltbrauerei.de), eine kleine Privatbrauerei, die sich gutem Bier verschrieben hat und das schon seit einigen Jahren mit einem kleinen, stetig wachsenden Festival auf dem hofeigenen Hof abfeiert, immer so im Spätsommer. Letztes Jahr hatte ich da schon die – zumindest bei uns – legendäre Sheep`s E. Band, The Movement und Extrabreit sehen dürfen, somit war ich sehr gespannt, wer dieses Jahr dort spielen würde. Als dann tatsächlich bekannt wurde, daß am 7. September diesmal wieder ein paar echte Helden meiner Jugend, nämlich New Model Army, zu Gast sein sollten, war für mich klar, daß ich unbedingt irgendwie einen Heimaturlaub von wo auch immer einlegen mußte, um das Spektakel nicht zu verpassen. Fuckin` New Model Army in meiner Hood, nicht ohne mich!
Die anderen Bands interessierten dann auch nicht mehr, von denen kannte ich außer Rantanplan auch keine, trotzdem sicherheitshalber vorher eine Karte bestellt, denn New Model Army werden wirklich angebetet in meiner Generation, zumindest bei uns in der Landbevölkerung. Mein alter Kumpel Patman aus Flensburg hat mich dann auch als Bauer beschimpft, als ich ihm erzählte, daß ich dafür EA80 im ausverkauften Flensburger Volksbad sausen lassen würde, für die hatte ich auch schon lange eine Karte, das sollte dann leider beides am gleichen Tag stattfinden (wenn bei uns schon mal was los ist…). Aber New Model Army unter freiem Himmel mitten im Dorf und mitten unter Leuten, mit denen ich zum Teil zur Grundschule gegangen bin, im Gegensatz zu einem ausverkauft verschwitzten Laden, der seinem Namen nicht gerecht wird!? Für mich eine einfache Entscheidung…
Kurz mal für alle unter euch, denen der Name New Model Army überhaupt gar nichts sagt: Die englische Band wurde 1980 gegründet und bestach schon immer durch den Sänger und Songwriter Justin Sullivan und seine markante und eindringliche Stimme, gekrönt von äußerst intelligenten gesellschaftskritischen bis spirituellen Texten. Er hat insgesamt irgendwie was von einem Priester, allerdings verflucht er Religion. Musikalisch hat die Band ihre Wurzeln im Punk, dürfte aber im Plattenladen eher in der Sparte ‚Alternative‘ vorzufinden sein. Denn für simplen Punk waren die Musiker eigentlich schon immer zu gut, und Bands, die auch auf Keyboards zurückgreifen, sind sowieso meistens schon mal mindestens überdurchschnittlich wenn nicht super duper. So finden sich auch reichlich Einflüsse aus Folk und Gothic in der Musik, was den Songs und dem Sound insgesamt etwas Düsteres gibt, weshalb die Band auch bei Gothics schon immer sehr beliebt war, und bei allem, was sich früher noch ‚Zecken‘ schimpfte.
Manche werden jetzt vielleicht schreien, aber alles im allem, finde ich, kann man New Model Army ganz gut mit Sisters Of Mercy (wem auch die nichts sagen, ebenfalls auschecken!) vergleichen, da gibt es viele Parallelen, gleiche Zeit, ähnlicher Flair, ähnlicher Kultstatus, ist so`n bißchen wie AC/DC vs. Motörhead. Ist aber auch latte und nur pseudomusikjournalistisches Geschwätz, ich bin jedenfalls mit diesen Bands groß geworden und höre sie heute fast noch lieber als damals. New Model Army gibt es jedenfalls immer noch und sie haben schon immer großartige Songs geschrieben und konnten die auch schon immer live perfekt rüberbringen, zurückhaltend, aber eindrucksvoll, echte Profis eben. Auch wenn Justin Sullivan meines Wissens als letztes Originalmitglied übrig ist, er war aber eben auch schon immer Kopf der Band.
Ich würde lügen, würde ich behaupten, ich kenne alle Alben der Band, denn sie bringen immer noch regelmäßig neue Platten raus, und wie bei so vielen Bands – um nicht zu sagen fast allen – liegen mir natürlich vor allem die alten Scheiben am Herzen, allen voran mein Lieblingsalbum ‚Thunder And Consolation‘ von 1989. Heutzutage ist es ja so pervers einfach, in neue (oder eben alte) Platten reinzuhören, aber wer New Model Army nicht kennt, sollte sich vielleicht als erstes Mal mit diesem Album beschäftigen, da gibt es so einige Hits sowie den – wohl nicht nur meiner Meinung nach – besten Song der Band überhaupt, nämlich ‚I love the world‘, der Titel sagt doch irgendwie schon alles, oder!? Um also einer weiteren BOARDSTEIN Tradition zu frönen, gibt es hier jetzt dazu den ‚Songtext des Monats‘, denn der ist in seiner atheistischen, fortschrittverachtenden und apokalyptischen Art einfach nur genial und heute leider noch aktueller als vor 30 Jahren. Hört euch dieses Lied einfach mal an und lest dabei den Text, am besten ein paar Mal nacheinander, damit die Message auch wirklich ankommt, Mitsingen macht eh am meisten Spaß. Die Texte von Justin Sullivan waren halt auch schon immer lyrisch sehr anspruchsvoll und britisch, zuweilen mit einem Hauch Antike. (Zweiter Anspieltip der Platte wäre übrigens ‚Vagabonds‘, wenn man diese beiden Songs gehört hat, will man dieses Album einfach nur noch haben.)
SONGTEXT DES MONATS
New Model Army – I love the world
‚Thunder And Consolation‘ (EMI – Electrola)
The roll of distant thunder breaks
The afternoon of silence wakes
They hurry through from Petergate
As if they know this dance
In fury blind, I drive at night
Across the moors, the open roads
Beneath the freezing starry skies
Racing in some trance
These cities are illusions of
Some triumph over nature`s laws
We`ve seen the iron carcass rust
And buildings topple into dust
And as the waters rise, it seems
We cling to all the rootless things
The Christian lies, technology,
While spirits scream and sing
Oh God, I love the world…
Well I never said I was a clever man
But I know enough to understand
That the endless leaps and forward plans
Will someday have to cease
You blind yourselves with comfort lies
Like lightning never strikes you twice
And we laugh at your amazed surprise
As the Ark begins to sink
This temple that is built so well
To separate us from ourselves
Is a power grown beyond control,
A will without a face
And watching from outside I wish
That I could wash my hands of this
But we are locked together here,
This bittersweet embrace
Oh God, I love the world
And if one day the final fire
Explodes across the whitened sky
I know you’ve said you’d rather die
And make it over fast
With courage from your bravest friends,
Waiting outside for the end
With no bitterness but an innocence
That I can’t seem to grasp
I know somehow I will survive
This fury just to stay alive
So drunk with sickness, weak with pain,
I can walk the hills one last time
Scarred and smiling, dying slow,
I’ll scream to no one left at all
I told you so, I told you so, I told you so . .
Oh God, I love the world
So wie`s hier steht, hätte dieser Text auch das Vorwort der ersten BOARDSTEIN Ausgabe sein können. Ihr erinnert euch!? Resignierende Gesellschaftskritik stand bei uns auch schon immer hoch im Kurs…
New Model Army machen einfach perfekte Festivalmusik für mittelgroße Bühnen, weil die Mugge halt ein breites Spektrum an Zuhörern begeistert. Wenn sie gewollt hätten, hätte die Band garantiert an einem Punkt ihrer Karriere Mainstream werden können, aber dazu waren sie schon immer zu echt, zu gut und zu alternativ. Ich hatte die Jungs auch schon mindestens zweimal auf Festivals gesehen und mich von ihren Live-Qualitäten und dem irgendwie besonderem Publikum überzeugen können, zuletzt vor ein paar Jahren auf`m Ruhrpott Rodeo (Küßchen an Steffen und die Boys!). Deswegen war mir klar, der Nachmittag plus Abend in Taarstedt konnte nur ein Gewinn werden, gerade weil ich eben auch viele alte Freunde in der Gegend hab`.
Da dann von den Flensburger Luschen irgendwie keine(r) hingefahren ist, hab` ich mich dann alleine auf den Weg gemacht, und das ist bei uns auf`m Land gar nicht immer so einfach. Für mich hieß es von Flensburg (wo ich schon die Freitagnacht ganz gut einen drauf gemacht hatte) mit Zug nach Schleswig, da vom Bahnhof zum ZOB laufen (ist nicht ganz ohne), mit dem Bus nach Tolk fahren und dann nochmal ein paar Kilometer zu Fuß nach Taarstedt. Sowas war früher kein Problem, warum sollte es mit 43 eins sein? Der einsame Wolf wieder auf Oldschool-Mission, aber es hat sich wirklich gelohnt und mir hat alles rundum Spaß gemacht, gut, ich war auch explizit gedoped… Am Gelände angekommen wurde auch schnell deutlich, daß sich die Besucherzahl zum letzten Jahr beinahe verdoppelt hatte, es waren auf jeden Fall einige nur für New Model Army gekommen, so viel stand fest.
So war der Nachmittag wie letztes Jahr wieder sehr sehr nett und gediegen, was nicht nur an dem Rausch lag. Vor New Model Army spielten z.B. noch Thunder Mother, denen ich meine Aufmerksamkeit gönnte, vier heiße Mädels aus Schweden, die sich Rock`n`Roll und Heavy Metal verschrieben haben und beides sehr ordentlich miteinander kombinieren können, also durchaus auch ein Tip, sollten die mal bei euch in der Gegend sein. Und genau, als es dann dunkel wurde, lieferten New Model Army ihr Set ab und das ließ einfach keine Wünsche offen, denn sie spielten mindestens zwei Drittel ältere Songs und dabei die meisten ihrer Klassiker. Man merkte ihnen auch an, daß sie richtig Bock auf diese Veranstaltung hatten, nicht zuletzt wahrscheinlich weil das Durchschnittsalter so bei 40 gelegen haben muß, deswegen waren sie uns das mit den alten Songs auch irgendwie schuldig. Na ja, und als sie dann nach wohl anderthalb Stunden oder so die Bühne verließen, fehlte eigentlich nur noch ein Lied, das Lied, und das ließen sie dann zugabemäßig auch noch aus sich rauskitzeln. ‚I love the world‘ zum Schluß mit reichlich Mitgesinge aus unzähligen, glückseligen, heiseren Kehlen, könnte es einen perfekteren Abschluß geben? Für mich nicht…
Danach spielte noch eine The Cure Coverband, die auch ihr Handwerk verstanden und was sehr gut paßte, und es war eigentlich ganz geil, daß New Model Army nicht als letztes spielten. Ich hätte mich dann nicht ungern von einer der unzähligen heißen Milfs vor Ort abschleppen lassen, aber als meine Kollegen/innen dann irgendwann alle verschwunden waren und ich so`n bißchen alleine da stand, dachte ich mir, soll Mann nicht aufhören, wenn`s am schönsten ist!? So entschied ich mich, weil ich ja auch schon eine halbwegs durchzechte Nacht hinter mir hatte, nach Mitternacht vernünftigerweise dafür, nicht weiterzusaufen und irgendwie durchzumachen, sondern mich noch irgendwie nach Flensburg auf irgendeine Couch durchzuschlagen, was mir dann sogar auch halbwegs anständig gelang. Na gut, in Flensburg wurde ich im Zug auf den Abstellgleisen(!) von den Reinigungskräften geweckt, die meinten, sie müßten jetzt die Bahnpolizei ranordern, damit die mich sicher zu Fuß zum Bahnhof bringt. Ich nichts wie raus aus`m Zug und ab in die Wicken geschlagen, nur um zehn Minuten später festzustellen, daß ich in kompletter Dunkelheit und halber Wildnis keine Ahnung hatte, welche Richtung ich einschlagen sollte. Also zurück zum Zeichenbrett, den Jungs klargemacht, daß ich Bullen nicht gebrauchen kann und den Weg auch alleine zurückfinde und niemanden verpetzen werde, und dann zu Fuß Richtung Bahnhof, Innenstadt, Couch… So war der Rückweg fast noch actionreicher als der Hinweg, ach, ich liebe solche Wochenenden, frei sein, breit sein, Terror muß dabei sein. Arne Fiehl nicht umsonst vom BOARDSTEIN…
Nächstes Jahr also gerne wieder, wenn es heißt Angeliter Open Air in Taarstedt. Mal gucken, wer dann spielt. Leute, habt ihr nicht mal Bock auf Status Quo!?…
Gruß an alle Süderhoschis und die Angeliter Befreiungsfront, bunt ist das Dasein und granatenstark. Und volle Kanne, Hoschi!!!
Arne
…(scheinbar) geile Brauerei!
Hach, schön, Aktuelles von Dir zu lesen!